Experteninterview mit Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Migräne in der Schwangerschaft
Die Schwangerschaft ist nicht nur eine Zeit der Vorfreude und umfangreicher Vorbereitungen, sondern auch eine Zeit körperlicher Veränderungen. Diese können bei Schwangeren bestehende Erkrankungen triggern oder auch gänzlich neue Beschwerden auslösen – so auch die Migräne.
Wir haben mit Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee, Oberärztin am Westdeutschen Kopfschmerzzentrum im Universitätsklinikum Essen, gesprochen, um die häufigsten Fragen zur Migräne in der Schwangerschaft zu beantworten: Woran erkennt man sie? Wann muss man zum Arzt? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Um Kopfschmerzen optimal behandeln zu können, ist es sehr wichtig, erst einmal die richtige Diagnose zu stellen. Aus fachlicher Sicht umfasst die Kopfschmerzklassifikation viele verschiedene Arten von Kopfschmerzen. Dabei ist die Migräne eine der häufigsten Kopfschmerzarten. Typische Anzeichen für eine Migräne sind wiederkehrende Kopfschmerzen, die eine starke Intensität aufweisen, unbehandelt mehr als 4 Stunden andauern und mit sogenannten vegetativen Symptomen einhergehen. Als vegetative Symptome bezeichnet man über den Kopfschmerz hinausgehende Beschwerden wie Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen. Dabei müssen nicht alle Patient:innen immer alle Symptome aufweisen.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Die gute Nachricht zuerst: Bei den meisten Schwangeren wird die Migräne in der Schwangerschaft deutlich besser oder hört sogar ganz auf. Wenn aber weiterhin Migräneattacken auftreten, kann auch in der Schwangerschaft ein Schmerzmedikament eingenommen werden. Einige Mittel können während der gesamten Schwangerschaft eingesetzt werden – insbesondere Paracetamol oder Triptane wie Sumatriptan. Ibuprofen dagegen sollte nur im ersten und zweiten Trimester zur Linderung von Kopfschmerzen eingenommen werden.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Wenn in der Schwangerschaft ein Kopfschmerz auftritt, den die Schwangere nicht kennt, sollte sie stets eine Ärztin aufsuchen. Eine ärztliche Beratung ist auch dann sinnvoll, wenn die Schwangere bereits Migräneerfahrung hat, aber nun unsicher ist, wie sie ihre „normale“ Migräne behandeln soll.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Bei der großen Mehrheit der Patientinnen wird die “normale” Migräne im ersten Trimester der Schwangerschaft deutlich besser und ist dann während der ganzen Schwangerschaft kein großes Thema mehr. Allerdings können migräneerfahrene Frauen auch neue Symptome erleben: So ist es gar nicht selten, dass Schwangere zum ersten Mal eine Migräneaura bekommen. Das sind neurologische Symptome wie ein Flimmern vor den Augen – das kann entweder vor den Kopfschmerzen oder auch gänzlich ohne Kopfschmerzen auftreten.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Die Migräne ist eine Erkrankung, die durch hormonelle Veränderungen beeinflusst wird. Deswegen sind Phasen mit großen hormonellen Veränderungen wie Pubertät und Menopause, aber eben auch die Schwangerschaft auch genau die Phasen, in denen sich die Migräne verändert oder auch erstmalig auftreten kann.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee: Für die nichtmedikamentöse Migränetherapie in der Schwangerschaft gelten dieselben Empfehlungen wie sonst auch: Sinnvoll ist es, sich hinzulegen, den Raum abzudunkeln und für ausreichend Ruhe zu sorgen. Ein Kaffee oder auch ein Ingwer-Tee können die Symptomatik ebenfalls verbessern.