Experteninterview: Ganzheitliche Ansätze zur Behandlung von Amenorrhö und hormonellen Ungleichgewichten Julia Schultz
Bei Amenorrhö und Hormonstörungen ist auf Grundlage der individuellen Symptome zunächst eine umfassende Ursachenforschung wichtig. Bei der anschließenden Therapie spielt das Hormon-Coaching eine Hauptrolle, um Körper und Geist wieder in Balance zu bringen – inklusive eines gesunden Lifestyles und einer psychologischen Beratung.
J. Schultz: Nach einer Essstörung und Sportsucht blieb meine Periode mit Anfang 20 komplett aus. Die Diagnose: PCOS (Polyzystisches Ovarialsyndrom) mit starker Tendenz zur Hypothalamischen Amenorrhö (HA). Beide Zyklusstörungen sind bei Frauen im gebärfähigen Alter weit verbreitet. Sie können einen unerfüllten Kinderwunsch, Osteoporose, Haarausfall, eine geringe Libido, Schlafprobleme und Depressionen verursachen. Mir wurde geraten, die Pille einzunehmen. Aber ich wollte lieber den Ursachen für meine hormonellen Probleme auf den Grund gehen. Ich habe viel ausprobiert und schließlich gemerkt, dass es ganz einfach ist, das Gewicht zu halten, wenn der Körper nicht mehr im Stressmodus und die Hormone im Gleichgewicht sind. Dann stellt sich auch die Periode auf ganz natürliche Weise wieder ein. Diese persönlichen Erfahrungen verbinde ich mit dem Wissen aus meinen Weiterbildungen, von der Naturopathie über Frauenheilkunde bis zur Darmgesundheit. So kann ich Frauen ganzheitlich dabei unterstützen, ihr hormonelles Gleichgewicht wiederzufinden.
J. Schultz: Zunächst versuchen wir, in einem ausführlichen Gespräch die Auslöser für das Ausbleiben der Periode zu finden. Die Klientin beschreibt ihre aktuellen Symptome und die Ereignisse vor dem Eintreten der Amenorrhö. Dabei ergibt sich meist schon ein sehr gutes Bild der individuellen Ursachen ihrer Zyklusprobleme. Davon ausgehend, beginnen wir mit den ersten Veränderungen des Lebensstils. Ernährung ist hier oft ein wichtiger Faktor: Um schlank zu bleiben, essen viele Frauen zu wenig – und powern sich obendrein beim Sport aus. Crossfit, Krafttraining und HIIT beispielsweise können den weiblichen Zyklus empfindlich stören, aber auch schon zwei Stunden Jogging die Woche.
J. Schultz: Körperliche Aktivität ist wichtig für unsere hormonelle Gesundheit. Aber manche Klientinnen treiben gar keinen Sport; anderen fällt es schwer, weniger zu machen. Beide Extreme können für unseren Zyklus fatal sein. Gerade zu intensive Bewegung mit wenig Regenerationsphasen oder zu wenig Kalorienausgleich führt oft zum Verlust der Periode. Spaziergänge an der frischen Luft sind dann schon mal ein guter Start. Aber auch ruhiges Krafttraining ist sehr sinnvoll für unsere Hormongesundheit. Das kann mit Gewichten im Fitnessstudio sein, oder auch in Form von Übungen wie Pilates, Yoga oder Barre. Generell gilt für Frauen: „Train smarter, not harder!”
J. Schultz: Ich beobachte die aktuelle Studienlage sehr genau und lasse die Ergebnisse regelmäßig in Blogartikel auf meiner Webseite, in meine Bücher und meine Arbeit als Coach einfließen. Dabei stelle ich immer wieder fest, wie wichtig ein ganzheitlicher Behandlungsansatz ist. Die Pille stellt nun mal nicht den natürlichen Zyklus wieder her, sondern künstliche Hormone sorgen für eine Blutung – ohne die vielen positiven Eigenschaften der körpereigenen Hormone. Die eigentliche Ursache der Hormonstörung anzugehen, ist komplexer. Dafür müssen wir ganz sanft an verschiedenen Stellschrauben drehen: an den psychologischen Faktoren wie unseren Bedürfnissen und unserem Selbstwert, an unserer Ernährung und am Sport. Auch Nahrungsergänzung kann eine wichtige Rolle spielen, um bei einer Amenorrhö zu unterstützen.
J. Schultz: Frauen mit HA haben sehr viel mit Ängsten zu kämpfen. Da geht es dann auch viel um “Mindset-Arbeit” und darum, Vertrauen in den eigenen Körper zu entwickeln. Die Frauen müssen erst wieder lernen, die Impulse des Körpers zu spüren und darauf zu hören. Das ist oft die größte Herausforderung, denn unser Verstand, unser Ego sagt, wir müssen immer stark, sportlich und gut gelaunt sein. Aber wir Frauen dürfen auch weich sein und müssen keine „kleinen Männer“ spielen, um geliebt und anerkannt zu werden. Frauenkörper haben andere Bedürfnisse als Männerkörper. Und ein natürlicher, regelmäßiger Menstruationszyklus ist der beste Gesundheitsschutz der Frau.
J. Schultz: Ich biete in meinen Online-Programmen regelmäßig gemeinsame Sessions mit anderen Teilnehmerinnen an. Der Austausch mit Gleichgesinnten tut den meisten Frauen sehr gut: Sie fühlen sich weniger allein und geben einander wertvolle Impulse. Für mich und mein Team ist es wichtig, dass wir den Klientinnen Raum geben, ihre Emotionen in einem geschützten Raum auszudrücken. Bei manchen kann es auch gut sein, sich mit dem Thema Psychotherapie auseinanderzusetzen. Auch dabei beraten und vermitteln wir.
J. Schultz: Oft wurde den Frauen, die zu uns kommen, gesagt, dass sie niemals schwanger werden können. Aber dann klappt es plötzlich ganz unverhofft und wie nebenbei. Viele Frauen mit HA haben zudem mit starken Verdauungsproblemen, Schlafstörungen und Stimmungstiefs zu kämpfen. Doch wenn sie sich auf die Heilungsreise begeben haben, verschwinden auch diese Probleme nach und nach – obwohl sie ursprünglich gar nicht mit der Hormonstörung in Verbindung gebracht worden waren.
J. Schultz: Wir sollten vorrangig viel mehr auf den Lebensstil eingehen, statt sofort mit der Chemiekeule in Form von Medikamenten zu kommen. Anstatt unseren Körper wie eine Maschine zu betrachten, die reibungslos funktionieren muss, dürfen wir Frieden mit ihm schließen und ihn als Wunderwerk betrachten. Dazu braucht es Verständnis für die Bedürfnisse des eigenen weiblichen Körpers und seiner Hormone. Wir Frauen dürfen uns die Erlaubnis geben, loszulassen und abzuschalten. Der Körper muss aus dem Stressmodus herauskommen, der durch Diäten und intensiven Sport entstehen kann. Oft kommen die Hormone nur so wieder ins Gleichgewicht. Dazu möchte ich mit meiner Arbeit beitragen und freue mich über Hunderte von Klientinnen, die mir den Erfolg bestätigen.